Mehr als 30 Jahre Dornröschenschlaf haben jenem Gebäude, das ca. 1910 als Vergnügungssaal zum „Gasthof zum Kaiser von Österreich“ errichtet und später, in den 1940- und 1950er Jahren als Kino genutzt wurde, arg zugesetzt: Der Putz bröckelt gehörig, die große Fensterfront ist vielfach eingeschlagen, Teile der Zwischendecke haben sich abgelöst, die Galerie darf aus Sicherheitsgründen nicht benützt werden.
Doch am Abend des 12.08.2011 widerfuhr dem Gebäude eine Renaissance, es durfte erneut seine Qualität als Location beweisen. Der rund 8 Meter hohe Saal mit Galerie war in dezentes Bühnenlicht getaucht und ließ sogleich Bilder von glamourösen vergangenen Tagen, von prachtvollen Bällen und Orchester-Abenden im Kopf entstehen. Eine der Besucherinnen, eine ältere Dame aus Eisenerz, erinnerte sich gerührt an die Zeit, als das Gebäude Kino war: „Das ist heute ein ganz tolles Ereignis für mich, noch einmal an diesen Ort zu kommen, wo ich all die großen Stars wie Brigitte Bardot oder James Dean erleben durfte!“
Ein stattlicher 35mm Filmprojektor war im Zugangsbereich des Saals, zu dem man über eine Treppe nach unten gelangt, aufgebaut. Im Rahmen der Veranstaltung „Panorama: Film + Musik“ wurde der 1994 von Willi Hengstler in Eisenerz gedrehte Spielfilm „Tief oben“ präsentiert, begleitet vom unüberhörbaren Rattern des Projektors. Rund 80 Gäste waren der Einladung gefolgt – unter ihnen auch manche EisenerzerInnen, die seinerzeit im Film mitgewirkt hatten.
Durch den Abend führte einfühlsam und sympathisch ORF Steiermark Kulturredakteurin Ilse Amenitsch, die die Protagonisten vorstellte und mit Willi Hengstler und Hans Platzgumer nach der Filmvorführung ein Gespräch führte. „Raus, raus, raus aus Eisenerz“ ist ein Leitmotiv des Films, skandiert von jungen Musikern, während sie im offenen Jeep die Präblichl-Straße raufjagen. Amenitsch fragte Platzgumer, der bereits im zarten Alter von 19 Jahren die Enge von Innsbruck gegen New York austauschte, was er jungen Leuten aus Eisenerz heute rät – ein Auslandsjahr verpflichtend für jeden Schüler, lautete, wenig überraschend, sein Anstoß. Auf seine Autorentätigkeit angesprochen, erzählte Platzgumer von dem denkwürdigen Zufall, dass sein neuestes Buch „Elefantenfuß“, ein Versuch der Aufarbeitung der Tschernobyl-Katastrophe, just am Tag des Fukushima-Unglücks erschienen und dementsprechend kurz darauf vergriffen war.
Wie es zu seinem Engagement in Eisenerz kam, erklärte Willi Hengstler – der hier bereits zwei Jahre zuvor eine Dokumentation gemacht hatte – damit, dass er vom „düsteren Charme“ von Eisenerz sehr angetan war. Zudem sei Eisenerz als frühindustrielles Gebiet eines der Herzstücke Österreichs. Amenitsch erkannte im Film vielerlei Zitate, wie den Brotlaib, der in einer Szene angeschnitten am Tisch liegt – Hengstler erklärte, dass der Film verschiedene Genres vermischt und bestätigte, das Orpheus-Motiv, das Ödipus-Motiv und ein kleines politisches Motiv eingearbeitet und auch starke Anleihen bei der Volkskultur gemacht zu haben.
Die Musik von HP Zinker hatte er zufällig im Auto eines Freundes gehört – und wollte genau diese für seinen Film haben. Was ihm auch gelingen sollte, Hengstler holte Platzgumer nach Europa, für etwa fünf Wochen kam dieser von New York nach Eisenerz.
An drehfreien Tagen sei er meist nach Graz oder Wien entflohen, hatte Platzgumer der Veranstalterin während der Anreise erzählt. Und, dass sie damals nicht eben freundlich empfangen wurden – beispielsweise wurden die Reifen seines Autos von unbekannten Tätern geschlitzt. Platzgumer, der auf fast allen Kontinenten zu Hause ist, reiste nun seit damals zum ersten Mal wieder nach Eisenerz. Sehr zur Freude des verbliebenen Publikums:
Unterstützt von den Visuals seines VJ Georg Gaigl und dem Schlagzeuger Tom Wu, der zwischendurch auch in die Seiten griff, gab der vielseitige Hans Platzgumer ein hinreißendes Konzert seiner Convertible-Band, die stilistisch der Musik von HP ZINKER am ähnlichsten ist. Leichtfüßig tänzelte er mit seiner Gitarre auf der Bühne und schlug das Publikum mit seiner markanten Stimme und einer Mischung aus rockigen und lyrischen Balladen in Bann. Als Zugabe spielte er jene Nummer aus dem Film, mit der ein Flug über die prachtvolle Bergwelt von Eisenerz musikalisch unterlegt ist. Das Publikum dankte es ihm mit heftigem Applaus.
(alle Fotos © Siegfried Gallhofer)