Vieles schien im Vorfeld der für 5.10.2022 im Volkshaus Graz geplanten Veranstaltung zu entgleisen; eine Absage stand bereits im Raum. Corona hatte alle minutiöse Planung über den Haufen geworfen. Neben Ausstellungskuratorin Alexandra Riewe fiel auch Antje Senarclens de Grancy, die die Podiumsdiskussion leiten sollte, krankheitsbedingt aus. Doch kurzfristige Improvisation führte am Tag des Jom Kippur – Versöhnungstag im jüdischen Kalender – zu einem unerwartet wunderbaren Ergebnis.
Fünf Minuten vor Beginn der Veranstaltung präsentierte sich der große Saal des Volkhauses Graz, einem von Eichholzers Weggefährtin Margarete Schütte-Lihotzky renovierten Gebäude, noch gähnend leer, doch Punkt 18 Uhr füllten sich die Sitzreihen mit knapp 60 Personen.
Nach einem von Lothar Lässer vorgetragenen Musikstück von Kurt Weill aus der Dreigroschenoper begrüßte Karin Hojak-Talaber für eisenerZ*ART mit viel Charme das Publikum. Dann erläuterte Veranstalterin Gil Illmaier den Kontext des Abends in Verbindung mit der Ausstellung „Herbert Eichholzer – Blaupause“, die im August im FreiRaum Eisenerz eröffnet wurde, situiert im Haus Brutmann, dessen Planung zur Schaffung eines Frisiersalons im Zentrum von Eisenerz dereinst von Illmaiers Großvater bei Eichholzer beauftragt worden war. Es folgte ein lebhaft vorgetragenes Kurzreferat des Historikers Heimo Halbrainer, das über das architektonische Werk, den politischen Einsatz und die vielschichtige Persönlichkeit des Herbert Eichholzer Aufschluss gab.
Die im Mittelpunkt stehende Diskussion zu den Themen Architektur und Engagement, Politik und Widerstand wurde von GAT-Redakteurin Claudia Gerhäusser geleitet, ihr gegenüber am Podium saßen Bürgermeisterin Elke Kahr, steirischer herbst-Intendantin Ekaterina Degot, Rebekka Hirschberg und Jomo Ruderer vom Verein wohnlabor, Waltraud Indrist von der TU-Graz und Eichholzer-Experte Heimo Halbrainer. Die Gespräche kreisten um den gegenwärtigen Umgang mit sozialem Wohnbau, um Immobilienspekulation, mangelnde Qualität im Bauen, um heutige Anforderungen und best-practice-Praktiken und führten bis hin zum Krieg in der Ukraine. Und immer wieder tauchte die Frage auf, was man von Eichholzers Haltung lernen könne, ob und in welchem Maß politisches Bewusstsein und Aktionismus gefragt bzw. notwendig sei. Aus all diesen Themenstellungen entwickelte sich ein lebendiger, spannungsreicher Diskurs, bei dem die hohe Anteilnahme des Publikums durch Zwischenapplaus, beim Thema Krieg aber auch durch Pfiffe und Buh-Rufe und zuletzt durch nicht enden wollende Fragen und Anmerkungen zum Ausdruck kam.
Der offizielle Programmteil endete mit einer Performance des Schauspielers Johannes Silberschneider, der zunächst Eichholzers Traktat über „soziales Bauen“ und dann zwei persönliche Briefe verlas, die dessen unfehlbaren Sinn für Humor erkennen ließen.
Nach rund zwei Stunden wechselte man ins Foyer zum informellen Programmteil, der dazu angetan war, den Abend in Reminiszenz an Herbert Eichholzers Lebenslust und die schönen Seiten jener Zeit in guter Stimmung ausklingen zu lassen, angeregt von Lothar Lässers Akkordeonklänge und stimuliert durch eine feine Auswahl geschüttelter Cocktails aus Martini, Wermuth, Whiskey, Sekt und anderen Ingredienzien der 20er- & 30er-Jahre. So wurde an diesem Abend anhand einer vielfältigen Auseinandersetzung die Person des Herbert Eichholzer in all ihren Facetten lebendig.
Epilog:
Aufgrund des hohen überregionalen Publikumsinteresses wird die Ausstellung „Herbert Eichholzer – Blaupause“ nach dem 16.10.2022 nicht abgebaut, sondern nach einer Winterpause im Mai 2023 wiedereröffnet, verlautbarte Gil Illmaier.
Fotos: (c) Clara Wildberger / steirischer herbst