Schauplatz: Musikschule Eisenerz. Freitag Abend, 19. September 2014. „Der Herr Karl“ in einer Inszenierung des Schubert Theaters Wien steht auf dem Programm.
Das Publikum wartet ungeduldig auf den Einlass – gilt es doch, sich die besten Plätze zu sichern. Erst fünf Minuten vor Aufführungsbeginn ist es soweit, die Menschen strömen in den Saal. Die gänzlich schwarz abgehängte, spärlich beleuchtete Guckkastenbühne wirkt wie ein schummriges, verrauchtes Lokal. Die wenigen Requisiten sind eine Bar, ein Tisch mit zwei Sesseln und ein altes Grammophon. Und eben drei skurril anmutende Puppen, die leblos an Haken von der Decke hängen. Man hört dezente Pianomusik. Der Puppenspieler – gekleidet im Stil eines gepflegten Kellners – steht, Fingernägel kauend, im Zentrum der Bühne, bis Ruhe im Saal einkehrt.
Dann tritt Nikolaus Habjan in Aktion und greift zur ersten Puppe, dem Kellner Herrn Karl. Im Nu verschmilzt der Puppenspieler mit seiner Figur, die selbstgefällig, aber auch nörgelnd und raunzend aus ihrem Leben erzählt. Zwischendurch antwortet der Herr Karl auf die Zurufe seiner Chefin aus dem Off, hofiert sie vordergründig, um sie hinterrücks zu betrügen: „Ja Frau Chefin, ja, ja, was, Frau Chefin – ja selbstverständlich… ja bitte, ja – ja… – pfff, wos soll ma si do aufregn, kontrolliert eh kana….“ Gleichzeitig bedient er den am Tisch sitzenden Gast – Dipl.Ing. Bernhard Schwingenschläger, kurz Herr Berni genannt – und qualmt dabei eine Zigarette nach der anderen.
Entsprechend der Vorlage entpuppt sich der Herr Karl – hier in Gestalt von gleich drei Figuren – als opportunistischer Mitläufer, der sich im wechselhaften Gang der österreichischen Geschichte vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Ende der Besatzungszeit in den 1950er Jahren durchs Leben manövriert hat. Man hört vom Feinkostladen Wawra, wo er im Lager arbeitete. „Es woa a schreckliche Zeit“ – „Aber i hob’s ma gricht ghobt. Und a Hetz ghobt. Mit die Katzn.“
Sodann tritt Frau Gisela in Erscheinung, die – ebenfalls trinkend und rauchend – von ihrem bescheidenen Leben, das sie aber immer genossen hat, erzählt, vom Gemeindebau und vom Sparverein, den sie geleitet hat. „Wissen S‘, dass de mi fast einsperren hätten lassen? Da ham s‘ mir vurgworfen, mit de Konten… Wissen S‘, was des is, a Konto? Wenn man von einem Konto auf ein anderes… Nein, das kann ich Ihnen als Laien net so erklären.“
Herr Bernie schließlich beginnt seine Erzählung mit dem Jahr 1927 und dem Brand des Justizpalastes, als man nicht wusste, welcher Partei man beitreten solle, welche Partei die stärkere ist: „Man hat sich nie entscheiden können, wo man eintritt…“. Und später: „Dann is eh schon da Hitler kummen. Des wor ein Taumel… Da Wiener hat endlich wieder wos zum Sehn bekommen, nach diesen traurigen Johren, nach dieser trüben Zeit… san olle gstandn am Heldenplatz und am Ring, unübersehbar worn wir, wie eine große Familie, man hot gespürt, man is unter sich – wie beim Heurigen, wie a riesiger Heuriger, nur feierlicher – ein Taumel.“
Grandios auch die Liebesszene, in der Herr Karl Frau Gisela – für deren Kreation übrigens Hildegard Knef und Dagmar Koller als Inspiration dienten – singend verführt, nachdem er von seinem Umgang mit den „Katzen“ auf den Donauauen erzählt… Später dann, als sie krank wird, die erschütternde Feststellung, dass er sie sicher nicht im Krankenhaus besuchen wird.
Habjans Spiel fasziniert: Wie er einerseits fast verschwindet, wenn er seine Puppen bespielt, gleichzeitig aber auch die vierte Person, den Zuhörer, gibt und mit den drei Figuren in Dialog tritt.
Regisseur Simon Meusburger, der selbst die ausgeklügelte Beleuchtung und die Nebelmaschine steuert, hat die Handlung geschickt der Gegenwart angepasst: So ist die Rede auch von der EU, der Gewerkschaft, vom Rauchverbot, dem Arbeitnehmerschutz, dem Klimawandel und von Facebook, wodurch verdeutlicht wird, dass der Typus des Mitläufers immer noch allgegenwärtig ist.
Das Publikum ist begeistert, dankt es den Künstlern mit frenetischem Applaus.